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Solidarische Landwirtschaft

Solidarische Landwirtschaft – ein Zukunftsmodell auch für Südhessen?

In Groß-Umstadt, genauer auf einem kleinen Acker in der Nähe des Ortsteils Richen, sollen inmitten konventioneller Landwirtschaft bald Pastinaken, Knollensellerie, Paprika und dutzende andere Gemüsesorten wachsen. Doch während die Paprika aus dem Supermarkt in Plastik eingeschweißt hunderte Kilometer zurücklegt, bis sie auf dem Teller landet, wird die Paprika, die auf dem Acker in Richen angebaut wird, Groß-Umstadt nie verlassen. Auch den Supermarkt wird sie nie zu Gesicht bekommen – und es gibt auch keine Kasse, an der der Konsument für die Paprika bezahlen muss.

Was macht eine Solidarische Landwirtschaft aus?

Was bedeutet eigentlich das „solidarisch“ in der Solidarischen Landwirtschaft? Wie unterscheidet sie sich von anderen Formen regionaler Versorgung, etwa den Gemüsekisten oder Hofläden?

Der größte Unterschied liegt sicher in der Beziehung zwischen dem Landwirt, also dem Produzenten, und den Konsumenten begründet. In einer Solidarischen Landwirtschaft wird diese strikte Trennung aufgehoben: Auch der Konsument übernimmt hier für das gemeinsame Projekt Verantwortung, kann den Anbau mitgestalten, muss aber auch das Risiko – etwa einer Missernte – mittragen.

Möglich wird das durch einen monatlichen Beitrag der Solawi-Mitglieder, die dafür wöchentlich einen festgelegten Anteil der Ernte aus einem Depot entnehmen können. Die Kosten für den Anbau, also das Gehalt des Gärtners, die Kosten für Pflanzgut und Geräte und alle weiteren Kosten werden jedes Jahr im Frühjahr neu festgelegt und anschließend auf alle Mitglieder verteilt. Dafür können beispielsweise Bieterrunden durchgeführt werden, bei denen alle Mitglieder einen Betrag bieten – wenn die berechneten Kosten nicht in der ersten Bietrunde erreicht werden, gibt es anschließend weitere Runden. Der Vorteil dieses Systems ist eine sozialere Verteilung der Kosten: Wer weniger hat, muss auch weniger bezahlen, wer mehr verdient, gibt freiwillig mehr. Es gibt aber auch Solawis, in denen ein fester Betrag für alle Mitglieder vereinbart wird.

Egal wie das Geld gezahlt wird: Das Gemüse wird auf dieser Weise dem freien Markt und den dort herrschenden enormen Preis- und Produktivitätszwängen entzogen. In Zeiten, in denen durch die von der EU nach Anbaufläche gezahlten Fördermittel landwirtschaftliche Betriebe immer größer und industrieller werden, kann eine solche Wirtschaftsform zumindest in einer Nische kleinbäuerlichen, regionalen Anbau erhalten.

Das Konzept einer engeren Zusammenarbeit zwischen Bauer und Konsument stammt eigentlich aus den englischsprachigen Raum und heißt dort „Community Supported Agriculture“. Nachdem es nach der Jahrtausendwende auch in Europa eingeführt wurde, verbreitete das Konzept sich langsam auch in Deutschland, häufig zunächst in der Nähe von Großstädten. Auch die Solawi in Darmstadt gehörte zu dieser ersten Gründungswelle  – seit 8 Jahren werden die etwa 80 Mitglieder hier mit frischem Gemüse versorgt, das vom Birkenhof in Egelsbach stammt.

Das Projekt in Groß-Umstadt zeigt aber: Die Solidarische Landwirtschaft erlebt einen kleinen Boom. Auch in ländlicheren Regionen wurden in den letzten 2-3 Jahren viele Solawis gegründet oder befinden sich zurzeit noch in der Gründungsphase. In Südhessen etwa gibt es neben der Solawi Darmstadt inzwischen auch in Rüsselsheim und im Modautal (mit Depot auch in Bensheim) Gruppen, die bereits mit dem Anbau begonnen haben.

Die Gründung einer neuen Solawi

„Angefangen hat bei uns alles 2018 mit einem Vortrag zur Solidarischen Landwirtschaft hier in Groß-Umstadt“ erzählt Christian Meier, einer der Gründer der neuen Solawi-Gruppe. Der Vortrag von Vivian Glover, die im Modautal mit ihrem „Gemüsegarten Hoxhohl“ bereits seit 2017 erfolgreich eine Solidarische Landwirtschaft im Odenwald betreibt, war gut besucht– und begeisterte einige Zuhörer so sehr, dass sie sich spontan entschlossen, selbst eine Solidarische Landwirtschaft auf der Weininsel zu gründen.

Ich habe mit Christian Meier über das Projekt, die Hintergründe und die Schwierigkeiten auf dem Weg der Gründung gesprochen. Er kennt das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft schon lange: In Darmstadt war er viele Jahre lang Mitglied, bis er vor zweieinhalb Jahren nach Groß-Umstadt zog. Er findet vor allem die Vielfalt an Gemüsesorten toll, die man als Mitglied einer Solawi kennenlernt: „Neue Gemüsesorten stellen einen oft vor schwierige Aufgaben, die man dann erstmal bewältigen muss“, erzählt er. Durch die Vielfalt an Gemüsesorten, mit denen man so konfrontiert wird, wachse aber auf Dauer der eigene Gemüsehorizont – und vielleicht findet man so sogar ein neues Lieblingsgemüse, das man selbst nie gekauft hätte.

Eine Kerngruppe von 7 Personen war es zunächst, die sich auf den Weg machte, eine neue Solawi zu gründen: Innerhalb eines Jahres stellten sie eine Website online, gründeten einen Verein, der inzwischen bereits 30 Mitglieder hat, und informierten die Groß-Umstädter bei jeder Gelegenheit über die Vorteile einer Solidarischen Landwirtschaft. Auch der Acker war schnell gefunden: Er gehört einer der Mitgründerinnen, der Pachtvertrag mit einem lokalen Landwirt ließ sich kurzfristig und in beiderseitigem Einvernehmen kündigen.

Schon nach kurzer Zeit zeigte sich auch: Das Interesse an einer regionalen Lebensmittelversorgung und an gesunden Nahrungsmitteln ist auch in Groß-Umstadt hoch. 100 Personen sind im Newsletter der Solawi-Gruppe angemeldet, ständig kommen Nachfragen, wann es denn losgehen soll. Doch das Problem bei der Gründung stellte sich schnell an anderer Stelle ein:  „Wir hatten zwar einen Gärtner gefunden und wollten 2019 mit der ersten Saison beginnen, doch der Gärtner ist zwischenzeitlich leider abgesprungen. Er hätte zeitlich eine Lücke ohne Einkommen überbrücken müssen und hat deshalb einen anderen Job angenommen“, erklärt Meier. Die Suche nach einem Nachfolger gestaltete sich nicht ganz einfach: Die meisten Bewerber, die sich auf die Anzeigen, die etwa über das „Netzwerk Solidarische Landwirtschaft“ oder ein Demeter-Forum verbreitet wurden, meldeten, waren Quereinsteiger oder landwirtschaftliche Helfer, die selbst keine Verantwortung übernehmen wollten. Auch die Suche an Unis, um etwa einen Landwirtschaftsstudenten für das Projekt zu begeistern, verlief erfolglos. Der Beginn des Gemüseanbaus war von den Initiatoren bereits schweren Herzens auf 2020 verschoben worden, als sich im letzten Moment doch noch ein geeigneter Gärtner fand.

Bauernmarkt Groß-Umstadt
Mitglieder der SoLaWi auf dem Bauernmarkt in Groß-Umstadt. Quelle: Solawi Groß-Umstadt

Biologischer Anbau?

Der neue Gärtner Bengt Reichard stammt aus Dieburg, hat eine vierjährige Demeter-Ausbildung in biologischer Landwirtschaft absolviert und bereits bei einer Solawi in Chemnitz gearbeitet. Wenn alles klappt, wird er ab März das Feld in Richen bestellen und die Solawi-Mitglieder mit frischem Gemüse versorgen. Weil Groß-Umstadt wie viele Orte in Deutschland  ein Nitrat-Problem hat, soll das Gemüse ausschließlich organisch gedüngt werden. Auch gespritzt wird hier nicht, über eine Bio-Zertifizierung denkt die Gruppe im Moment nach – die wäre teuer und eigentlich nicht nötig, schließlich basiert die Idee der Solidarischen Landwirtschaft auf dem Prinzip der Nähe und dem vertrauensvollen Umgang zwischen Verbrauchern und dem Erzeuger. Der Kontakt zu den lokalen Landwirten, so Meier, sei aber bei allen inhaltlichen Differenzen gut: Unter anderem das Verteildepot und die Maschinen zur Bewirtschaftung des Ackers sollen voraussichtlich bei einem nahe gelegenen Hof untergebracht werden. Im Gegensatz zu vielen anderen Solawi-Gruppen soll der Anbau aber unabhängig von einem landwirtschaftlichen Betrieb erfolgen.

Zukunftspläne

Die geplante Anbaufläche soll zunächst knapp einen Hektar umfassen – damit können etwa 40 bis 50 Menschen mit Gemüse versorgt werden. 36 „Ernteteiler“ sollen es für den Anfang mindestens sein, der Monatsbeitrag wurde für das erste Jahr auf etwa 85 Euro festgelegt. „Vielleicht wird es aber in Zukunft noch eine Regelung geben, mit der jemand, der viel Zeit, aber weniger Geld hat, regelmäßig auf dem Acker mithelfen kann“, sagt Meier – er könnte dann eine Ermäßigung auf den Monatsbeitrag bekommen. Eine verpflichtende Mitarbeit auf dem Feld wird es in Groß-Umstadt jedenfalls nicht geben – natürlich kann aber freiwillig geholfen werden.

Bis es losgehen kann, muss auch auf dem Acker noch viel passieren: Das nackte Stück Land inmitten landwirtschaftlicher Flächen muss noch einen Wasseranschluss bekommen und eingezäunt werden, außerdem soll ein Foliengewächshaus angeschafft werden, um auch wärmeliebende Gemüsesorten anbieten zu können. Die Solawi-Gruppe hofft für die Anschaffungen auch auf eine Förderung durch die Fördertöpfe der neuen „Ökomodellregion Südhessen“. Zunächst aber müssen auch diese Kosten wohl solidarisch geteilt werden – einige Mitglieder der Kerngruppe haben sich bereits bereit erklärt, die nötigen Investitionen vorzufinanzieren.

Im Vergleich mit urbanen Projekten bietet das ländliche Umfeld für die Gründung auf jeden Fall Vor- und Nachteile. Ein Nachteil beispielsweise ist die andere Gruppenzusammensetzung: Während in Darmstadt viele junge Menschen Interesse an solidarischer Landwirtschaft haben, hat der Verein in Groß-Umstadt einen eher hohen Altersschnitt – „ich hoffe, wir können uns in Zukunft noch etwas verjüngen“, so Meier. Der große Vorteil ist aber die örtliche Nähe zwischen Acker, Depot und den Mitgliedern – die gesamte Produktionskette bleibt so direkt in Groß-Umstadt, während das Gemüse der Solawi Darmstadt aus Egelsbach geliefert werden muss. So lässt sich auch eine aktive Beteiligung an der Ernte und an den Feldarbeiten besser in den Alltag der zukünftigen Solawi-Mitglieder integrieren.

Weitere Infos und Neuigkeiten zur Solidarischen Landwirtschaft in Groß-Umstadt findest du auch auf ihrer Website. Zurzeit sind noch 3 Ernteanteile frei, die an Interessenten vergeben werden können.

Änderungen am 26.02.: Inzwischen wurde ein Gärtner gefunden, der auf 2020 verschobene Anbaubeginn wurde kurzfristig wieder auf März 2019 verlegt. Der Text wurde entsprechend angepasst. 27.02.: Es sind nur noch 3 Ernteanteile zu vergeben.

Titelbild: Symbolbild, Quelle: pixabay.com

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