Eine Streuobstwiese mit Apfelbaum im Sommer
Umweltschutz,  Wandel

Streuobstwiesen retten! Die Streuobstwiesenretter und ihr Einsatz für eine bedrohte Kulturlandschaft

Streuobstwiesen sind für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten ein wichtiger Lebensraum. Deutschlandweit ist diese Kulturlandschaft aber bedroht: Die Bäume überaltern, weil sich kaum noch jemand um die Pflege oder Neupflanzungen der Obstbäume kümmert – auch deshalb, weil Streuobst sich kommerziell nicht mehr lohnt. Die Streuobstwiesenretter versuchen, sich dieser Entwicklung in Südhessen entgegenzustellen – mit dem Anlegen einer eigenen Vorzeigestreuobstwiese, Kursen und jeder Menge Aufklärungsarbeit.

Es ist heiß an der Grillhütte Wambolder Sand in Bensheim, der sandige Boden ist schon lange trocken: Auch hier an der Bergstraße sind die Auswirkungen des Klimawandels deutlich spürbar. Ohne Gießeinsätze wären die Neupflanzungen, die in der Nähe der Grillhütte überall zu sehen sind, nicht am Leben zu erhalten. „Wir haben hier viel gewässert, alleine letztes Jahr jeden Baum etwa 2 Mal“, erklärt mir Martin Schaarschmidt, Mitbegründer der Streuobstwiesenretter, auf einem Rundgang durch die etwa 7 Hektar großen Streuobstwiesen. Vertrocknet ist trotzdem einiges, dennoch ist Schaarschmidt mit dem Ergebnis zufrieden. Ohne ihn und seine Mitstreiter wäre das Gelände längst von Robinien überwuchert, die wenigen noch vorhandenen alten Obstbäume krank oder abgestorben – so wie viele Streuobstwiesen überall in Deutschland. „Mit der Zeit habe ich einen Blick dafür entwickelt, was mit den Streuobstbeständen los ist – und es sieht nicht gut aus“, sagt Schaarschmidt, der bereits mit 16 Jahren angefangen hat, sich für Streuobst zu interessieren. Fast alle Altbestände seien überaltert und ungepflegt, und die Bäume auf neuangelegten Wiesen, die etwa als Ausgleichsmaßnahmen für Neubauviertel gepflanzt werden, sind oft von Anfang an auf sich allein gestellt. Ohne regelmäßiges Gießen und einen Erziehungsschnitt haben die Jungpflanzen aber überhaupt keine Chance, zu wertvollen Obstbäumen heranzuwachsen.

Streuobstwiesen als Zentren der Biodiversität

„Das ist besonders tragisch, weil Streuobstwiesen nicht nur schön sind, sondern auch zu den artenreichsten Biotopen in Mitteleuropa gehören“, mahnt Schaarschmidt. Deshalb hat er 2011 zusammen mit Benedikt Kuhn, dem Begründer der modernen Odenwälder Apfelweinmarke „Bembel with Care“, Florian Schumacher und Marco Daub das Projekt „Streuobstwiesenretter“ auf die Beine gestellt.

Zusammen haben sie seitdem vieles organisiert, um den Streuobstwiesen in der Region wieder zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen: Baumschnittkurse, jährliche Obstsortenbestimmungen in Zusammenarbeit mit dem Pomologenverein oder umweltpädagogische Arbeit in Schulklassen gehört ebenso dazu wie die eigene Streuobstwiese in Bensheim, die 2012 in Zusammenarbeit mit der Stadt und lokalen Umweltgruppen angelegt wurde. Insgesamt wachsen hier über 100 alte Obstsorten – neben Wildobst wie Ebereschen, Mispeln und Speierling auch exotische Apfelsorten wie der rotfleischige „Roter Mond“ oder die gestreifte Birnensorte „Schweizerhose“.

Die gestreifte Birnensorte „Schweizerhose“, die auch auf der Streuobstwiese in Bensheim wächst

Der Schwerpunkt liegt aber auf lokalen Apfel- und Kirschsorten: „Dafür mussten wir erstmal herausfinden, was hier früher gewachsen ist“, erklärt Schaarschmidt. Zusammen mit dem Pomologenverein bestimmte man die restlichen Altbäume und pflanzte neue Bäume der gefundenen Sorten nach. In Zusammenarbeit mit einer lokalen Baumschule werden viele der seltenen Regionalsorten selbst veredelt und auch an andere Interessenten verkauft.

Nicht nur Natur, sondern auch Kulturgut

Wichtig, so Schaarschmidt, ist die Wahrnehmung von Streuobstwiesen als wertvolle Kulturlandschaften- auch für den Menschen. „Deshalb ist es auch so wichtig, nach neuen Verwertungsmöglichkeiten für das Streuobst zu suchen“, erzählt er. Im Moment gibt es Patenschaften für die Bäume, es wird Saft gepresst, außerdem besteht eine Kooperation mit „Bembel for Care“. Auch neue Verwertungsideen, wie etwa Ansätze ähnlich der solidarischen Landwirtschaft, seien derzeit in der Diskussion.

Um die Arbeit zu stemmen, arbeiten die Streuobstwiesenretter mit vielen regionalen Umweltgruppen sowie dem Gewässerverband Riedgruppe Ost, aber auch mit Flüchtlingen aus Bensheim zusammen. Seit 2015 existiert eine Kooperation mit dem Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald – zusammen wird alljährlich eine regionale „Obstsorte des Jahres“ ausgewählt, die dann an verschiedenen Standorten im Geo-Park  gepflanzt wird. Auch Alnatura hilft beim Freihalten der Streuobstwiese von unerwünschtem Bewuchs, und zusammen mit dem Förderverein „Odenwälder Apfel e.V.“ veranstalten die Streuobstwiesenretter seit 2017 in Kooperation mit Odenwälder Gastronomen den „Odenwälder Apfelherbst“.

Inzwischen trägt die Arbeit der Streuobstwiesenretter in mehrfacher Hinsicht erste Früchte: Die Bäume auf der Streuobstwiese in Bensheim sind inzwischen erfolgreich angewachsen, und auch in anderen Bereichen gibt es erste Erfolge: „2011 hat sich eigentlich noch niemand für Streuobstwiesen interessiert. Heute sind die Menschen viel sensibler für das Thema, Landräte und Bürgermeister interessieren sich dafür. Im angrenzenden Baden-Württemberg ist ein Landschaftserhaltungsverband Rhein-Neckar gegründet worden, und Frankfurt hat heute sogar einen eigenen Streuobstkoordinator“, so Schaarschmidt. Vielleicht gibt es also auch in Südhessen noch Chancen, die artenreichen Streuobstwiesen für kommende Generationen zu erhalten.

Titelbild: Beispielbild Streuobstwiese, Quelle: pixabay

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